Höchste Zeit für adaptive Krankenhäuser

November 2020

Pandemiesicher durch modulare Anpassungen und intelligente Technologie

Covid-19 hat einen großen Einfluss auf unser Leben, die Gesellschaft und die medizinische Versorgung. Auch wenn nicht davon auszugehen ist, dass diese Pandemie unser Leben dauerhaft beherrschen wird, führt uns Covid-19 doch deutlich vor Augen: Krankenhäuser müssen flexibler und stressbeständiger werden. In diesem Beitrag skizzieren Architekturbüro Wiegerinck und Ingenieurbüro Deerns, wie ein adaptives Krankenhaus aussehen kann. Lesen Sie, wie auch Ihr Krankenhaus finanziell verantwortlich und mit relativ einfachen Mitteln pandemiesicher werden kann.

Ein adaptives Krankenhaus ist so entworfen, dass es jederzeit infizierte Personen aufnehmen kann – mit nur minimalen Auswirkungen auf die reguläre Pflege. In einer für Patienten und Mitarbeiter bedrohlichen Notsituation (z. B. bei einem Virusausbruch oder einer chemischen Kontamination) kann ein Teil des Gebäudes schnell und einfach in den Krisenmodus umschalten. Da die heutigen Corona-Maßnahmen nicht auszureichen scheinen, sollten künftig noch stärker physische und bauliche Maßnahmen mit einbezogen werden. Doch wie sieht ein adaptives, pandemiesicheres Krankenhaus genau aus?

 

Der „Normalzustand”: Das Krankenhaus ist deutlich in Hotflor, Bettenhaus und Büros unterteilt. Die Funktionsbereiche sind so angeordnet, dass die Laufwege und logistischen Ströme deutlich sind.

Der „Notzustand”: Ein Teil des Krankenhauses kann schnell in ein Notkrankenhaus umfunktioniert werden, mit einem eigenen, geschlossenen Kreislauf. Die reguläre medizinische Versorgung kann ungehindert fortgesetzt werden.

Das Ideal

Das ultimative Ziel ist es natürlich, ein ideales Krankenhaus zu entwerfen und zu bauen. Aus diesem Grund stellen wir die verschiedenen Maßnahmen in diesem Beitrag auf der Grundlage eines idealen adaptiven Krankenhauses vor. Doch auch Ihr Krankenhaus kann mit relativ einfachen Eingriffen und überschaubaren Kosten anpassbar und zukunftssicher werden. Ein adaptives Krankenhaus verfügt über diese Bausteine:

  • Möglichkeit, ein Notkrankenhaus innerhalb des Krankenhauses zu etablieren
  • Modularer Entwurf
  • Einsatz intelligenter Gebäudetechnik
  • Verstärkte Nutzung von E-Health

Ein Krankenhaus, zwei Zustände

Ein adaptives Krankenhaus kann sich in zwei verschiedenen Zuständen befinden – dem „Normalzustand” und dem „Krisenzustand”. Im Normalzustand findet die medizinische Versorgung im gesamten Krankenhaus regulär statt. Im Krisenzustand erhält eine bestimmte Patientengruppe akute medizinische Versorgung in einem Teil des Gebäudes, wobei die reguläre Pflege bei ausreichenden Personalkapazitäten wenig beeinträchtigt wird.

Modular entworfen

Die Grundidee ist, dass im Vorfeld geplant wird, welche Bereiche des Krankenhauses im Ernstfall angepasst und abgetrennt werden, um akut eine sichere Versorgung leisten zu können. Der Betrieb im Rest des etwas kleiner gewordenen Krankenhauses kann ungestört weiterlaufen. De facto entsteht durch die modulare Gestaltung ein selbständiges, direkt verfügbares Notkrankenhaus innerhalb des Krankenhauses. Notversorgung und reguläre Pflege können so parallel stattfinden.

Notkrankenhaus als Teil des Krankenhauses

Das Notkrankenhaus innerhalb des Krankenhauses ist bei einem großen Virusausbruch, wie z. B. Covid-19, sofort einsatzbreit. Es verfügt über einen separaten Eingang mit Triage und bildet einen geschlossenen Kreislauf bestehend aus Notaufnahme, Pflegeabteilung und Intensivstation. Auch sicher abgetrennte Untersuchungszimmer und OPs können genutzt werden. Über den separaten Eingang gelangt der Patient schließlich entweder wieder zurück nach Hause oder in ein Pflegehotel bzw. ins Krankenhaus. Im Fall einer Krankenhausaufnahme verbleibt der Patient zunächst in einem mit Schleusen abgetrennten, separaten Teil der Notaufnahme. Von hier aus gelangt er über eine sichere Route auf die Intensivstation oder auf eine für diesen Zweck vorgesehene Pflegestation.

Die Anzahl der (Intensiv-)Betten flexibel erhöhen oder reduzieren

Sowohl auf der Intensivstation als auch in der speziellen Pflegeabteilung werden zusätzliche Türen mit Schleusenfunktion angebracht, sodass die Anzahl der Betten innerhalb eines sicheren Kompartiments ausgeweitet oder reduziert werden kann. Zusätzliche Flexibilität entsteht auch durch Zimmer, die groß genug für die Unterbringung eines zweiten Intensivbettes sind. Eine weitere Option ist es, die Zimmer innerhalb des Notkrankenhauses „acuity adaptable“ zu machen, sodass sie in Hinblick auf die TGA für die Notversorgung geeignet sind. Sie verfügen bspw. über Anschlüsse für mobile Intensiv-Versorgungseinheiten. Auch die Kapazitätserweiterung der bestehenden Lüftungsanlage mit der dazugehörigen Infrastruktur und der Luftvorbehandlung (soweit notwendig) gehört zu den möglichen Maßnahmen.

Clustern der Pflegestationen

Patienten, die nicht so schwer erkrankt sind, gelangen über sichere Wege und einen separaten Aufzug zu einer mit Schleusen abgetrennten, innerhalb des Notkrankenhauses gelegenen Pflegestation. Auch diese Abteilung sollte modular entworfen sein, damit es je nach Bedarf möglich ist, das Notkrankenhaus schrittweise zu vergrößern. In den von uns betrachteten Szenarien sind die meisten baulichen und technischen Maßnahmen innerhalb des normalen Layouts umzusetzen. Nur die ersten Pflegebereiche innerhalb des Clusters werden leicht überdimensioniert. Sie verfügen über größere Zimmer, mehr technische Anschlüsse und einen eigenen Entsorgungskreislauf. Die Brandschutztüren haben eine Doppelfunktion und dienen auch als Krisenschleusen. Insgesamt ist das Krankenhaus ist so entworfen, dass lediglich Anpassungen im Bereich des Notfallkrankenhauses nötig sind und nicht im gesamten Krankenhaus. Auf diese Weise bleiben zusätzliche Investitionen und Anpassungen auf ein Minimum beschränkt.

Ein Familienzimmer innerhalb des Notkrankenhauses, in dem würdevoller, sicherer Kontakt möglich ist. Der Patient und die Angehörigen befinden sich in angrenzenden Räumen und können sich sehen und hören.

Menschlicher Kontakt

In einem idealen Krankenhaus werden die Familien der Patienten mit einbezogen, um so erschütternde Szenen wie bei der ersten Coronawelle zu vermeiden. Auch im Notfallkrankenhaus muss es Platz für einen würdigen und gleichzeitig sicheren Kontakt zwischen Patienten und Angehörigen geben, einen separaten Raum, in dem visueller Kontakt zwischen dem (mobilen) Patienten und seiner Familie möglich ist. Auf der Intensivstation könnte ein Raum an der Außenseite der Fassade eine geeignete Lösung sein, um dem Patienten nahe sein zu können. Über eine Galerie können Angehörige mittels Audio-Unterstützung mit infizierten Patienten in Kontakt treten. In einer normalen Situation kann dieser Außenraum für logistische Zwecke genutzt werden. Diese Entwurfslösung wird beispielsweise erfolgreich im Universitätsklinikum Skåne in Malmö (Schweden) angewendet, das speziell auf Infektionskrankheiten ausgerichtet ist.

Entlastung des Personals

In den letzten Monaten hatte das Pflegepersonal besonders große Herausforderungen zu bewältigen, mit Überlastung und Krankheitsausfällen als Folge. Das unterstreicht die Wichtigkeit von Entwurfslösungen, die einen erwiesenen Effekt auf das menschliche Wohlbefinden haben. Evidenced-Based-Design kann das Pflegepersonal entlasten, und dafür sorgen, dass es angenehmer und dadurch effizienter und effektiver arbeiten kann. Dezentrale Pflegeposten und Lager sind in niederländischen Krankenhäusern noch eine Ausnahme, aber erwiesenermaßen eine effektive Maßnahme. Entwurfslösungen, die Unterstützung im Arbeitsalltag bieten, können den Druck auf das Pflegepersonal vermindern. Darüber hinaus verdienen die an der Belastungsgrenze arbeitenden Mitarbeiter weitere Aufmerksamkeit, z. B. in Form von ausreichendem und angenehm gestalteten Außenraum, um sich entspannen und erholen zu können. Auch die Digitalisierung kann selbstverständlich zu einer weniger starken Belastung des Personals beitragen. So kann z. B. E-Health dabei unterstützen, den Personaleinsatz zu optimieren. 

TGA anpassen

Die TGA kann viel dazu beitragen, um ein Krankenhaus adaptiv zu machen. Einige Stichworte dazu:

  • Die integrale Anwendung von intelligenter Gebäudetechnik kann die Risiken bei Virusausbrüchen deutlich minimieren. „Intelligent“ bedeutet unter anderem, dass Besucherströme, Logistik und Arbeitsprozesse auf der Basis von in Echtzeit gesammelten Daten optimiert und gesteuert werden. Ein smartes Krankenhaus nutzt diese Daten, um Fehler zu vermeiden und beispielsweise den Personaleinsatz, den Energieverbrauch und die Sicherheit zu überwachen und zu verbessern.
  • Intelligente Gebäudetechnik begleitet den Patienten von zu Hause bis auf die Pflegestation und macht diesen Weg angenehmer. Schon bevor ein Patient sein Zuhause verlässt, empfängt er in Echtzeit Informationen, z. B. über die Reisezeit und die beste Route zum Krankenhaus.
  • Mit einer dynamischen Routenanzeige werden infizierte und nicht infizierte Besucherströme im Krankenhaus voneinander getrennt.
  • Ein separates Rohrpostsystem im Notkrankenhaus vermindert den Druck auf die Logistik und minimiert die Chance auf Vorfälle mit infiziertem Material.
  • In Hinblick auf die Infektionsprävention sollte ein „All Air“-Luftbehandlungssystem (mit 100 % Außenluft) oder ein großzügig dimensioniertes Lüftungssystem eingesetzt werden, vorzugsweise in Kombination mit einer Klimadecke.
  • Alle technischen Anlagen werden, in Hinblick auf mögliche neue Anforderungen der Zukunft, sowohl zentral als auch auf Abteilungsniveau großzügig dimensioniert.
  • Im Notfall wird das Entlüftungssystem der abgeteilten Pflegeabteilung so geschaltet, dass die Abluft direkt nach draußen geführt wird.
  • Für sehr geschwächte Patienten können weitere Schutzmaßnahmen erwogen werden, wie eine separate Abwasserabfuhr, die Anwendung einer Rückstromsicherung und thermische Desinfektion.

Wie geht es in Ihrem Krankenhaus weiter?

Auch in Ihrem Krankenhaus werden sicher augenblicklich viele drängende Fragen diskutiert. Was müssen wir unternehmen? Wie können wir unser Krankenhaus pandemiesicher machen? Welche Investitionen sind möglich und vertretbar? Die Geschwindigkeit, mit der sich Covid-19 auf die medizinische Versorgung ausgewirkt und diese verändert hat, zeigt, wie wichtig es ist, sich kritisch mit der bestehenden Situation auseinanderzusetzen. Niemand in der Pflegebranche will durch den nächsten großen Ausbruch einer Infektionskrankheit überrascht werden. Grundsätzlich können viele Aspekte des hier skizzierten idealen Krankenhauses auch auf Ihre Klinik angewendet werden. Je nach Gebäude sind selbstverständlich unterschiedliche Anpassungen notwendig.

Ihre Möglichkeiten untersuchen

In engem Austausch mit Ihnen können wir die Lage und Größe eines Notkrankenhauses innerhalb Ihres Krankenhauses bestimmen. Im Rahmen einer Studie untersuchen wir den zweiten Eingang – die Notaufnahme – in Bezug auf die Lage zur Intensivstation und einer separaten Pflegeabteilung innerhalb des Notkrankenhauses. Dabei ist es wichtig, zunächst nach einem optimalen, vorläufigen Layout zu suchen und einen Grundriss mit integriertem Notkrankenhaus zu entwickeln. Einige Funktionen innerhalb des Krankenhauses müssen vielleicht die Positionen tauschen, um dafür zu sorgen, dass sich „infizierte Ströme” autonom bewegen können. Ein sicheres Routing ist letztlich entscheidend.

Technische Anpassungen bestimmen

Auf der Basis der vorläufigen neuen Einteilung betrachten wir anschließend gemeinsam die wünschenswerten baulichen Maßnahmen und TGA-Gegebenheiten. Dazu gehören beispielsweise:

  • Ein separater Eingang des Notkrankenhauses und die Möglichkeiten zur Kompartimentierung, sodass im Ernstfall die Bereiche noch effektiver abgegrenzt werden können.
  • Die Errichtung von sogenannten Acuity Adaptable Patientrooms, um die Kapazitäten der Intensivstation zu vergrößern. Diese Zimmer werden im regulären Pflegeprozess genutzt, können aber auch im Fall einer Pandemie eingesetzt werden. Auch mobile Versorgungseinheiten, in denen medizintechnische Apparate, Anschlüsse, Vakuumpumpen, USV und Geräte für die Patientensicherheit integriert sind, können eingesetzt werden.
  • Die Errichtung einer Schleuse (eventuell temporär und aufblasbar) auf der Grenze zwischen Notkrankenhaus und dem restlichen Krankenhaus. Auch Räumlichkeiten für das Personal, um Schutzkleidung an- und auszuziehen – möglichst unter Unterdruck – werden benötigt.
  • Einsatz von Plug-and-Play-Lüftungssystemen, die in bestehende Fassadenöffnungen eingefügt werden können. So können einzelne Zimmer von den zentralen Installationen abgekoppelt werden und erhalten ein selbstständig funktionierendes Klimasystem, das auch eine Druckhierarchie unterhalten kann.
  • Analyse des bestehende Lüftungssystems anhand von aktuellen Richtlinien (heutiger Stand ist, dass die Richtlinien ausreichen, um Covid-19 zu beherrschen). Untersuchen, ob das System gut funktioniert und wie es möglicherweise optimiert werden kann. Einen operativer Plan für Management und Wartung aufstellen. Das Notkrankenhaus sollte vorzugsweise unter Unterdruck agieren.
  • Möglichkeiten zur Triage beim Haupteingang des regulären Krankenhauses analysieren.
  • Aufenthaltsräume für Familien planen.
  • Mehr (Außen-)Raum für das Personal, um sich von den anspruchsvollen Herausforderungen zu erholen, die eine Pandemie mit sich bringt.

Schematische Darstellungen der Funktionsbereiche innerhalb eines Krankenhauses: Facharztpraxen in der Nähe des Eingangs, ein Bettenhaus und ein sogenannter Hotfloor mit Notaufnahme.

Während der ersten Coronawelle waren spontane Anpassungen nötig, um akute medizinische Versorgung leisten zu können. Dadurch entstanden Situationen, in denen infizierte Patienten im gesamten Krankenhaus verteilt waren, wodurch die reguläre Pflege ernsthaft behindert wurde.

Durch den Wechsel einiger Funktionsbereiche innerhalb des bestehenden Krankenhauses kann ein kompaktes Notkrankenhaus realisiert werden. So kann die reguläre medizinische Versorgung in Krisenzeiten uneingeschränkt weiter stattfinden.

Jetzt vorausschauen

Covid-19 hat uns die Notwendigkeit von Veränderungen vor Augen geführt. Krankenhäuser müssen stressbeständiger werden, sodass sie im Fall einer Pandemie direkt mit durchdachten Lösungen reagieren können.  Wenn Sie heute künftige Viruserkrankungen in den Blick nehmen, investieren Sie auch in zielführende Lösungen für andere Krankheiten und Ausnahmesituationen. Kurzum, jetzt ist der Moment, um über ein sinnvolles Routing und eine optimale Einteilung, Kompartimentierung und geeignete Lüftungssysteme nachzudenken, aber auch über die weitere Integration von E-Health und intelligenter Gebäudetechnologie. Auch Ihr Krankenhaus kann mit vertretbaren Kosten und relativ begrenzten Eingriffen adaptiv werden.

Dieser Artikel ist auf der Basis der Veröffentlichungen „Krankenhäuser nach Corona” von Wiegerinck und „Aerogene Ausbreitung von SARS-CoV-2” von Deerns entstanden. In diesem Folgebeitrag entwickeln wir gemeinsam eine Vision eines adaptiven Krankenhauses. Auf dieser Grundlage beraten wir Krankenhäuser, wie sie diese Erkenntnissein Form einer integralen Gebäude- und TGA-Planung umsetzen können.

 

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