Heute die Poliklinik von morgen entwerfen

Februar 2024

Wie die räumliche Gestaltung Veränderungen im Gesundheitswesen unterstützt

Die Nachfrage nach medinischen Versorgungsleistungen nimmt weiter zu, ebenso wie der Personalmangel. Es gibt immer mehr ältere Patienten mit Mehrfacherkrankungen. Die Entwicklungen im Gesundheitswesen sind unübersehbar und Veränderungen zwingend. Doch was bedeutet das für die Polikliniken? Die Facharztzentren sind das schlagende Herz und Aushängeschild eines jeden Krankenhauses in den Niederlanden.

Es ist auffällig, dass Veränderungen im Gesundheitswesen sich bislang kaum in neuen Raumkonzepten für so wichtige Abteilungen wie die Polikliniken niederschlagen. Für viele Menschen ist die Poliklinik der erste Kontakt mit dem Krankenhaus. Ein Teil der Patienten kommt regelmäßig zu Kontrolluntersuchungen. In der Poliklinik sind alle Fachdisziplinen zu finden. Die Fachärzte überweisen Patienten weiter zu Bildgebung, Blutabnahme, Funktionstests oder die stationäre Aufnahme – und haben damit wichtigen Einfluss auf alle Krankenhausprozesse.

Kann ein durchdachter Entwurf zur Qualität der Prozesse in der Poliklinik beitragen? Wiegerinck, bereits seit 75 Jahren im Gesundheitswesen tätig, untersucht, wie die Poliklinik von morgen aussehen könnte.

Schematische Darstellung Poliklinik der Zukunft

Wichtige Entwicklungen mit großen Auswirkungen

Welche aktuellen Entwicklungen haben einen großen Einfluss auf das Krankenhaus im Allgemeinen und die Poliklinik im Besonderen? 

Personalmangel und hohe Arbeitsbelastung
In den Krankenhäusern rücken neben den Patienten auch die Mitarbeiter immer stärker in den Fokus. Und das ist auch dringend nötig: Alle Krankenhäuser sind besorgt über den Mangel an qualifiziertem Personal und die zunehmende Arbeitsbelastung, welcher die medizinischen Fachkräfte tagtäglich ausgesetzt sind. Eine starke, intelligente und flexible Raumgestaltung sorgt für maximale Effizienz und ein attraktives Arbeitsumfeld.

Die Patientenpopulation verändert sich
Wir werden im Durchschnitt immer älter. Das bedeutet eine Zunahme von chronisch kranken Patienten und Patienten mit komplexen, multimorbiden Krankheitsbildern. Insbesondere diese Patienten benötigen eine (multidisziplinäre) Versorgung in einer Krankenhausumgebung, die den Genesungsprozess unterstützt.

Technologische Entwicklungen vollziehen sich in rasantem Tempo
Besonders im medizinisch-technischen Bereich. Und das zeigt sich nicht nur an immer fortschrittlicheren medizinischen Geräten. Innerhalb der Poliklinik stellen die Online-Anmeldung und Online-Sprechstunden wichtige Veränderungen dar, die sich beispielsweise auf den benötigten Wartebereich und die Anzahl an Sprechzimmern auswirken.

Healing Environment ist zu einer festen Größe geworden
Eine die Genesung fördernde Umgebung, die auf Evidence-Based-Design basiert, reduziert Ängste und Stress bei den Patienten. Deshalb wird immer mehr Wert auf Gestaltungsansätze gelegt, welche die Eigenregie der Patienten und die individuelle Versorgung ins Zentrum stellen.

Das Krankenhausgebäude als zukunftsbeständige Anlage
Unter dem Strich muss die medinische Versorgung bezahlbar bleiben. Intelligentes Bauen ist erforderlich, damit Gebäude sich an den aktuellen Versorgungsbedarf anpassen können. Anpassungsfähigkeit und Flexibilität durch Standardisierung können hier eine Lösung sein – zumindest, wenn sie von Anfang in Hinblick auf die Gebäudestruktur und die Haustechnik mitgedacht werden.

Aus den Entwicklungen ergeben sich eine Reihe von Schwerpunkten für den Entwurf der Ambulanz der Zukunft.   

Sprech- und Untersuchungszimmer

Die Begegnung zwischen Arzt und Patient steht im Zentrum

In der Poliklinik geht es im Wesentlichen darum, dass der Facharzt den Patienten bestmöglich untersuchen und beraten möchte. Der gesamte Entwurf und die Einrichtung der Poliklinik sollten darauf ausgerichtet sein, die (kurze) Begegnung zwischen Arzt und Patient so optimal wie möglich verlaufen zu lassen. Wir sind davon überzeugt, dass die Poliklinik trotz der Digitalisierung auch weiterhin eine Zukunft haben wird. Das Bedürfnis nach Begegnung und physischer Untersuchung wird bestehen bleiben, insbesondere bei älteren Patienten. Was ist rund um das Arztgespräch wichtig und welche räumlichen Faktoren spielen dabei eine Rolle?

Zusammen an einem Tisch
Patienten und ihre Begleitpersonen wünschen sich während der Konsultation die volle Aufmerksamkeit des Facharztes. Ziel ist ein guter Dialog, bei dem gemeinsam ein Behandlungsplan aufgestellt wird. Die Einrichtung des Sprech-/Untersuchungszimmers sollte dieses Gespräch unterstützen. Zum Beispiel durch die Form und Position des Tisches, die es ermöglicht, gleichberechtigt miteinander am Tisch zu sitzen. Aufnahmen sollten gemeinsam betrachtet werden können, wobei es nicht wünschenswert ist, dass der Bildschirm zwischen Arzt und Patient steht.

In der Regel werden Patienten durch Angehörige oder Bekannte begleitet. Sie unterstützen die Patienten beim An- und Auskleiden, wodurch der Arzt mehr Zeit in die Beschäftigung mit dem Fall investieren kann. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Es ist eindeutig nachgewiesen, dass die Begleitperson besser als der Patient selbst in der Lage ist, die Informationen des Arztes aufzunehmen und zu behalten. Außerdem können Angehörige dem Arzt auch wertvolle Informationen geben, die wichtig für Diagnosestellung und die daraus folgende Behandlung sind. Gute Gründe, für diesen wichtigen Ausgangspunkt der Behandlung eine angenehme Atmosphäre zu schaffen, mit einem geeigneten Tisch und ausreichend Sitzmöglichkeiten für alle Beteiligten, einschließlich der häufig anwesenden Assistenten oder anderer Fachkräfte.

Angst reduzieren
Im Krankenhaus erfahren nahezu alle Patienten Angst. Das ist verständlich, denn man begibt sich buchstäblich in fremde Hände und erfährt einen akuten Verlust von Autonomie. Auch der Anblick medizinischer Instrumente oder einer Behandlungsliege können Stress verursachen, genauso wie das Umkleiden in einer engen Umgebung mit wenig Privatsphäre. Das Sprech-/Untersuchungszimmer der Zukunft verlangt folglich nach einer anderen Einrichtung: einem angenehmen Sprechzimmerteil und einem stärker abgetrennten, ausreichend großen Untersuchungsbereich.

Back-office

Das Personal im Fokus

Aufmerksamkeit für das Personal und seine Arbeitsbedingungen werden immer wichtiger. Welche räumlichen Anpassungen können – neben der Einrichtung des Sprechzimmers – zu einer angenehmen Arbeits- und Lebensumgebung beitragen?

Zeit ist kostbar
Elementar ist, dass der Arzt ausreichend Zeit und Ruhe für eine gute Behandlung hat. Ein abgetrennter, separater Untersuchungsraum mit ausreichend Privatsphäre kann dabei helfen. So kann der Arzt sich in den Fall vertiefen, während der Patient sich umkleidet. Oder der folgende Patient kann bereits hereinkommen, während der vorige Patient sich ankleidet. Das spart kostbare Zeit, die letztendlich den Patienten zugutekommt.

Im Allgemeinen kann durch die Verkürzung von Laufrouten und Abständen Zeit gespart werden. Ärzte werden an vielen verschiedenen Orten benötigt. Ein deutlicher Trend ist, Polikliniken nach Krankheiten zu organisieren, in Form einer „Pflegestraße“. Eine Pflegestraße kann beispielsweise so gestaltet sein, dass sich direkt neben dem Sprechzimmer die speziellen Behandlungs- und Untersuchungsräume (für Organuntersuchungen) befinden. Statt in einer anderen Abteilung oder auf einer anderen Etage liegt alles konzentriert an einem Ort. So sind alle Räumlichkeiten gut erreichbar, sodass sich die Laufwege der Ärzte verkürzen und die Zusammenarbeit optimal verlaufen kann.

Ein zentrales Backoffice verbessert die Zusammenarbeit
Eine effiziente Facharztpraxis zu betreiben, ist das Zusammenspiel verschiedener Berufsgruppen, wie Sprechstundenhilfe, Assistent, Arzt und Supervisor. Wenn das Backoffice an einem zentral gelegenen Ort in der Poliklinik untergebracht ist, können sich Kollegen schnell für Beratungen und Abstimmungen zwischen den Terminen aufsuchen. Das kann den reibungslosen Ablauf von Untersuchungen begünstigen.

Ein Backoffice in der Nähe der Sprech-/Untersuchungszimmer hat auch für die nicht patientengebundenen Tätigkeiten Vorteile. Es sorgt für mehr spontane Kontaktmomente und Begegnungen zwischen den Mitarbeitern, was der multidisziplinären Zusammenarbeit zugutekommt. Auch der informelle Wissens- und Informationsaustausch ist wichtig für die Qualität der Zusammenarbeit. Darüber hinaus macht es die Arbeit effizienter und angenehmer, was dazu beitragen kann, Mitarbeiter an ein Krankenhaus zu binden. Entsprechend wichtig ist es, der Lage und Einrichtung des Backoffice mehr Aufmerksamkeit zu geben.

Tageslicht sorgt für Zufriedenheit
Die räumliche Qualität einer Poliklinik hat großen Einfluss auf das Wohlbefinden und die Arbeitsfreude der Mitarbeiter. Ärzte und anderes Fachpersonal verbringen oft den gesamten Arbeitstag in einem Sprech-/Untersuchungszimmer oder im Backoffice. In vielen Krankenhäusern liegen diese Räumlichkeiten im Gebäudeinneren, wodurch das Personal praktisch den ganzen Tag kein Tageslicht sieht. Studien belegen jedoch, wie wichtig ausreichend Tageslicht ist. Mitarbeiter, die mehr als drei Stunden pro Tag direktes Tageslicht erleben, sind zufriedener und erfahren weniger Stress als Mitarbeiter, die weniger Zugang zu Tageslicht haben. Daher ist es von großer Wichtigkeit, für ausreichend Tageslicht für das Fachpersonal zu sorgen, welches jeden Tag aufs Neue die bestmögliche medizinische Behandlung leistet. Mehr Aufmerksamkeit für das Personal!

Der Weg zum Termin

Nicht nur die Konsultation und die Arbeitsprozesse der Professionals bedürfen der Aufmerksamkeit, auch der Weg eines Patienten zu seinem Termin ist wichtig. Die Route sollte möglichst einfach und klar verlaufen und so gestaltet sein, dass die Patienten sich willkommen fühlen und die benötigte Aufmerksamkeit erfahren. 

Mehr Termine an einem Tag, mehr räumliche Qualität
Krankenhäuser versuchen, pro Patient möglichst viele Untersuchungen und Konsultationen an einem Tag einzuplanen. Dadurch halten sich Menschen oft für längere Zeit im Krankenhaus auf. Auch dies sollte bei der Raumgestaltung berücksichtigt werden. Weil Krankenhausbesuche gegenwärtig online vorbereitet werden, verschwinden die Anmeldeschalter langsam oder verändern zumindest ihre Form. Wie angenehm ist es dann für Patienten und Angehörige, einen einladend gestalteten Eingangsbereich zu betreten, in dem sie in einer wohltuenden, stressarmen Atmosphäre warten können? Hier gibt es Verpflegungsmöglichkeiten, bequeme Sitzgelegenheiten, Privatsphäre, großzügige Toiletten, ausreichend Schließfächer und digitale Wartezeitinformationen. Von hier aus gehen die Patienten „just in time” zu ihrem Termin, ob das nun eine Untersuchung, eine Röntgenaufnahme oder eine Blutabnahme ist. Wer möchte, kann auch seinen Laptop nutzen, Fernsehen schauen oder in Ruhe etwas lesen. In einer gemütlichen und qualitativ hochwertigen Umgebung, die im menschlichen Maßstab gestaltet ist.

Privatsphäre, wo nötig
Anmeldeschalter sind überflüssig geworden, zumindest teilweise. Dennoch ist es wichtig, dass Menschen sich wahrgenommen und nicht verloren oder verunsichert fühlen. Ein bedeutendes Thema, das während des Entwurfsprozesses aufgegriffen werden sollte: Ist es möglich, ein kleines Frontoffice zu realisieren oder setzt man auf Mitarbeiter, das sich frei durch den Raum bewegen?

Folgetermine einzuplanen, ist mitunter komplex und benötigt Privatsphäre. Dies gilt insbesondere auch für Menschen, die im Arztgespräch schlechte Neuigkeiten erhalten haben. Für solche Situationen werden geeignete Räumlichkeiten benötigt und es bedarf besonderer Aufmerksamkeit bei der Wegführung. Denn Patienten sollten nicht im Wartezimmer landen, wenn sie aufgewühlt das Sprechzimmer verlassen, sondern sich noch etwas an einem ruhigen Ort mit ausreichend Tageslicht und nach Möglichkeit einer Aussicht aufhalten können. Denn das ist es, was für Menschen in einer solchen Situation hilfreich ist, wie Studien belegen.

Besondere Aufmerksamkeit für Ältere
Ältere Menschen und Patienten mit körperlichen Einschränkungen sollten besondere Aufmerksamkeit im Entwurfsprozess erhalten. Das Wissen über ihre Bedürfnisse ist vorhanden, doch oft scheint es schwierig, es im Entwurfsprozess tatsächlich anzuwenden. Diese Patientengruppe besonders zu berücksichtigen, ist jedoch von besonderer Bedeutung, da sie in Größe zunimmt.

Für Menschen mit einer Sehbehinderung ist ein gutes Lichtniveau wichtig, um sich orientieren zu können, genauso wie ausreichend Kontrast zwischen den Farben von Fußböden, Wänden, Fenster und Türen. Auch die Höhe und Größe von Hinweisschildern ist oft nicht ausreichend auf ältere Besucher abgestimmt, die gebeugt oder mit einem Rollator den Weg finden müssen. Große Räume mit viel Lärm und Schall sind herausfordernd für Menschen mit Höreinschränkungen. Akustische und schallabsorbierende Maßnahmen sorgen dafür, dass auch diese Patienten sich in der Poliklinik wohlfühlen. Auf langen Fluren sind ausreichend Sitzmöglichkeiten für motorisch eingeschränkte Personen erforderlich und es bedarf genügend Bewegungsfreiheit in den Toiletten. Psychogeriatrische und schwerkranke Patienten profitieren von ausreichend geschützten, ruhigen und komfortablen Sitzmöglichkeiten. Angesichts der kontinuierlichen Zunahme dieser älteren Patientengruppe im Krankenhaus, ist es von großer Bedeutung, ihre Bedürfnisse im Entwurf zu berücksichtigen.

Flexibles Raster

Standardisierungen sorgen für Flexibilität

Aus wirtschaftlicher Sicht hat ein Krankenhaus ein großes Interesse daran, möglichst flächen- und kostensparend zu bauen. Vor allem muss sichergestellt werden, dass das Gebäude sich an Entwicklungen im Gesundheitswesen anpassen kann. Dadurch können häufige Umbaumaßnahmen vermieden werden, die neben Kosten auch Unannehmlichkeiten für Personal, Patienten und Pflegeprozesse verursachen.

In der Poliklinik ist das Sprech-/Behandlungszimmer ein wichtiger Baustein, mit einem Sprech- und einem Untersuchungsteil. Darüber hinaus werden spezielle Räumlichkeiten benötigt, z. B. in der Augenheilkunde, HNO, Urologie und Gynäkologie. Wir empfehlen eine durchgängige Struktur und Größe, in der auch diese Funktionen untergebracht werden können. Es geht also darum, möglichst nicht zwischen 12, 14 oder 16 Quadratmetern zu variieren, sondern durch Standardisierung Flexibilität zu ermöglichen. Innerhalb der einheitlichen Struktur sollten auch die meisten Funktionsräume abbildbar sein. Dadurch entsteht ein großer Gewinn an Flexibilität. Infolgedessen sind weniger Umbaumaßnahmen nötig und eine Abteilung kann insgesamt viel einfacher an neue Entwicklungen angepasst werden. Eine flexible Basis mit einheitlichen Räumen ermöglicht die Vergrößerung oder Verkleinerung der verschiedenen Fachdisziplinen, je nach den Entwicklungen im Gesundheitssystem.

Flexibilität ist auch innerhalb dieses Rasters in Hinblick auf spezielle Untersuchungs- und Funktionsräume möglich. Wenn Räume gut dimensioniert sind, kann die Flexibilität durch entsprechendes Mobiliar (mobile Geräte, Tagesvorrat) und intelligenten Konzepten für technische Anschlüsse gefördert werden.

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