Neue Dimensionen für Demenz

November 2022

Wie können Gebäude Entwicklungen in der Pflege stärker berücksichtigen?

Ältere Menschen bilden derzeit die größte Patientengruppe in niederländischen Krankenhäusern. Derzeit entfallen rund 40 % der Gesundheitskosten auf Senioren über 65 Jahren. Im Fall einer stationären Behandlung ist die Aufenthaltsdauer bei dieser Patientengruppe deutlich länger (10 Tage) und es besteht ein hohes Risiko funktioneller Verschlechterungen, die dazu führen können, dass die Betroffenen nicht wieder nach Hause zurückkehren. Alles, was die Genesung (dementer) Älterer begünstigen kann, sollte darum in Betracht gezogen werden. Dies gilt auch in Hinblick auf die physische Pflegeumgebung.

Die räumliche Umgebung beeinflusst, wie wir denken, arbeiten, uns bewegen und interagieren. Entsprechend wirkt sie sich auch auf Leistung, Qualität und Effizienz aus – Dinge, die im Gesundheitswesen von entscheidender Bedeutung sind. Pflege und Architektur begegnen sich im physischen Raum. Das richtige Gleichgewicht kann Pflegeprozesse verbessern und zu mehr Effizienz und Effektivität führen. Dies bedeutet letztendlich Zeitersparnis. Zeit, die älteren Patienten zugutekommen kann, die stark von einer individuelleren Betreuung profitieren.

Ältere Menschen, Demenz und die Zahlen

Im Jahr 2040 wird ein Viertel der niederländischen Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein. Schätzungen zufolge wird es dann eine halbe Million Menschen mit Demenz geben, vor allem Ältere. In den Krankenhäusern bilden Menschen über 65 Jahren mit Abstand die größte Patientengruppe. Im Jahr 2012 wurden insgesamt rund 4,3 Millionen Menschen in den Niederlanden stationär ins Krankenhaus aufgenommen, 36,7 % von ihnen waren über 65 Jahre alt. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Menschen über 75 Jahre beträgt 22,5 Tage (im Vergleich zu den üblichen 10 Tagen). Rund 40 % der Gesundheitskosten entfallen auf Senioren, ein Prozentsatz, der in den nächsten Jahren weiter steigen wird.

Gemeinsam nachdenken

In Hinblick auf die Zahlen und Entwicklungen (steigende Kosten und Qualität der Pflege) ist es unvermeidlich, dass medizinische Fachkräfte, Institutionen und Architekten gemeinsam die Bedürfnisse älterer Menschen in den Blick nehmen – sowohl in den Krankenhäusern als auch in den Pflegeheimen. Als Carin Gaemers und Hugo Borst im Jahr 2017 ihr Manifest ‘Scherp op Ouderenzorg’ vorstellten, schienen Veränderungen an Dynamik zu gewinnen. Aber welche neuen Erkenntnisse gab es seither, die zum Wohlbefinden älterer Menschen beitragen? Wissen wir bereits mehr darüber, wie wir Pflegeprozesse durch räumliche Lösungen besser unterstützen können, sodass es mehr Zeit und Aufmerksamkeit für die Patienten gibt? Die Antwort lautet ja, aber wir sind noch längst nicht am Ziel.

 

Besser entwerfen durch mehr Forschung

Wiegerinck untersucht seit Jahren den Zusammenhang zwischen der baulichen Umgebung und der Pflege von (dementen) älteren Menschen. Studien und Untersuchungen liefern immer wieder neue Erkenntnisse. Dieses Wissen bringen wir in unsere Entwürfe ein.

Senioren im Krankenhaus – Räumliche Umgebung und Differenzierung

Mit fortschreitendem Alter nehmen Sehkraft und Hörvermögen ab, ebenso wie Mobilität, Wahrnehmungsfähigkeit und die allgemeine körperliche Verfassung. Es ist wichtig, sich den Weg des Patienten durch das Krankenhaus („patient journey“) unter diesen Vorzeichen vorzustellen, um bei jeder Abteilung zu überprüfen, welche Veränderungen tatsächlich Verbesserungen darstellen. Der Krankenhausaufenthalt eines älteren Patienten beginnt mit der Ankunft. Wie erleben Begleitperson und Patient die Ankunft im Krankenhaus? Welches Maß an Stress erfährt die Begleitperson beim Parken des Autos und beim Suchen eines Rollstuhls? Kann der ältere Patient während dieser Zeit sicher warten? Eine bessere Gestaltung der gebauten Umgebung und der Prozesse kann hier einen großen Unterschied machen.

Eine aktive Zone auf der Krankenhausstation, wo die Patienten unter dem wachsamen Blick des Pflegepersonals rehabilitieren können.

Differenzieren und variieren

Die meisten älteren Menschen halten ihren Kopf gesenkt und haben ein deutlich eingeschränktes Blickfeld, selbst wenn sie keinen Rollator verwenden. Entsprechend ausgerichtete Beschilderungen können hilfreich sein. Auch eine Zunahme an Audio-Lösungen für die Zielgruppe der Hochbetagten lässt sich beobachten.

Es ist bekannt, dass ältere Menschen, vor allem wenn sie dement sind, Mühe damit haben, einen Raum zu „lesen”. In großen Krankenhausgebäuden sollten die Räumlichkeiten darum stärker differenziert und variiert werden – in Form, Größe und Ausgestaltung, beispielsweise sollte sich ein Korridor deutlich von einem Wartebereich unterscheiden. Ein angenehmer, beruhigender Wartebereich ist ein ruhiger, abgeschlossener Raum, der deutlich ausstrahlt, dass man hier warten kann. Der Warteraum ist reizarm, dank einer optimalen Akustik und wenig Personenverkehr. Die Abstellplätze für Rollstühle, Rollatoren und Kinderwagen sind auf logische Weise in den Entwurf eingepasst. Es gibt diverse Sitzmöglichkeiten für Ältere und ihre Begleitpersonen. Hier können sie sich in Ruhe unterhalten, etwas lesen oder Fernsehen schauen.

 

Der Patient kommt nicht allein

Ein vertrautes Gesicht in unmittelbarer Nähe vermindert Unruhe und Angst bei älteren, dementen Patienten. Dies muss stärker berücksichtigt und dafür gesorgt werden, dass es in den Sprechzimmern und Behandlungsräumen ausreichend Platz für eine Begleitperson, meist Partner oder Familienmitglied, gibt. Sie könnten dem Patienten helfen, z. B. beim Umkleiden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Begleitperson Informationen mithören und gegebenenfalls zusätzliche Informationen über den Patienten mitteilen kann.

Dezentrale Posten ermöglichen eine gute Überwachung der Patienten.

Schnelle Verschlechterung

Ältere Menschen, die stationär aufgenommen werden, verbleiben häufig eine relativ lange Zeit im Krankenhaus. Während des Aufenthalts haben sie ein großes Risiko auf eine funktionelle Verschlechterung. Die Muskelmasse der Patienten nimmt von Tag zu Tag ab, wodurch die Genesung erschwert wird und sich das Risiko von Stürzen erhöht. Dies führt häufig dazu, dass die Patienten nicht wieder nach Hause zurückkehren können.

Die Gruppe von älteren Patienten, die schwerkrank ins Krankenhaus kommt, profitiert am stärksten durch die Unterbringung in einem reizarmen Einzelzimmer mit der Möglichkeit auf Rooming-in. Anderseits erholen sich Senioren nach einer Operation oder Behandlung am besten in einer Umgebung, welche die Rehabilitierung stimuliert, die mehr den Charakter eines Pflegeheims hat und maximale Bewegung fördert. Sobald es ihre Genesung zulässt, sollten die Patienten die Mahlzeiten auf einer geeigneten Sitzmöglichkeit im Zimmer einnehmen oder gemeinsam am Tisch essen. Eine offene Küche fördert Bewegung, da die Patienten sich selbst mit Getränken versorgen können. Es gibt ausreichende Möglichkeiten, zu lesen, ein Spiel zu spielen, ein Puzzle zu legen oder zu zeichnen. Patienten treffen sich in gemütlichen Gemeinschaftsräumen, wo sie Fernsehen schauen oder Besuch empfangen können.

Ausgangspunkte für einen altersgerechten Krankenhausentwurf.

Grün tut gut

In der reaktivierenden Pflegeumgebung gibt es große Gemeinschaftsräume und kleine Patientenzimmer. Das Bett erhält seine Schlaffunktion zurück und außerhalb des eigenen Zimmers gibt es viel Raum für Aktivitäten und Erholung. Abhängig vom Platz und den finanziellen Möglichkeiten sind auch begrünte Innenräume eine Möglichkeit, wie z. B. Wintergärten, Innenhöfe und umschlossene Gärten, die das ganze Jahr zugänglich sind.

Ältere Menschen im Pflegeheim – Zeit für die Pflege

Neue Gesetze und Vorschriften sollen dafür sorgen, dass ältere Menschen so lange wie möglich zu Hause leben können. Infolgedessen vollzieht sich in den Pflegeheimen eine Verschiebung hin zu einer immer intensiveren Betreuung einer Gruppe sehr alter Menschen (durchschnittlich 85 Jahre alt), die häufig an einer fortgeschrittenen Demenz oder körperlichen Einschränkungen leiden. Bei Pflegeheimbewohnern mit einer höheren Pflegestufe kommt eine Aufenthaltsdauer von über vier Jahren immer seltener vor.

Dadurch verändert sich auch hier das Wesen der Pflege. Es geht weniger darum, wieder gesund zu werden und neue Perspektiven zu erlangen, sondern der Fokus liegt auf Lebensqualität und Zuwendung in der letzten Lebensphase, die in der Einrichtung verbracht wird. Deshalb sind Familien vor allem auf der Suche nach einer Umgebung, wo ihre Angehörigen so glücklich und zufrieden wie möglich leben können.

 

Zeit für Pflege und Zuwendung

Pflegeheimbewohner mit fortgeschrittener Demenz sind nicht mehr in der Lage, alltägliche Aktivitäten durchzuführen. Lange Zeit ging man davon aus, dass Anpassungen in der Inneneinrichtung hilfreich sein und Bewohner beispielsweise dabei unterstützen können, ihr eigenes Apartment aufzufinden. Inzwischen wissen wir, dass die meisten dieser Maßnahmen wirkungslos sind. In Bezug auf das Beispiel bedeutet dies, dass das Pflegepersonal Bewohner zu ihren Wohnungen begleiten muss. Daher sollten unsere Maßnahmen zum Ziel haben, dass das Pflegepersonal möglichst viel Zeit für seine Kernaufgaben hat, damit es das tun kann, worin es am besten ist: die direkte Pflege der Bewohner und deren persönliche Betreuung. Entsprechende Entwurfslösungen stecken noch in den Kinderschuhen. Gerne suchen wir mit Ihnen das Gespräch darüber.

Gute, gesunde Gebäude sind Gebäude, in denen das Personal wieder Zeit für die eigentliche Pflege findet. Die Mitarbeiter benötigen Zeit und Energie für einen Spaziergang, ein Spiel oder ein Gespräch mit den Bewohnern. Wie können wir das gemeinsam erreichen? Zum einen können wir die tägliche Versorgung der Bewohner in ihren Wohnungen so effizient wie möglich gestalten. Durch große Badezimmer, in denen den Bewohnern optimal geholfen werden kann und alle benötigten Hilfsmittel, wie z. B. ein Duschstuhl, vorhanden sind. Weiterhin spielen gut beleuchtete, große Schränke mit (Inkontinenz-)Materialien und allen anderen notwendigen Dingen und praktische Lösungen für saubere und dreckige Wäsche eine große Rolle. Durch sinnvolle Entwurfslösung vermeiden wir, dass das Waschen und Ankleiden zu viel Zeit abzieht von sinnvollen Beschäftigungen oder Aktivitäten.

Die Pflegewohnungen ’t Loug sind ein Beispiel für die Anordnung von Apartments rund um den Gemeinschaftsraum.

Mit oder ohne Korridor?

In Gemeinschaftsunterkünften können wir untersuchen, wie wir die Laufwege und Sichtachsen so kurz wie möglich halten können. Lange Korridore, an denen die Apartments liegen, sind nicht nur für die Bewohner eine Herausforderung („Wo ist meine Wohnung doch wieder?“), sondern auch stressig und ermüdend für das Pflegepersonal. Es gibt interessante (vor allem internationale) Entwicklungen hin zu Wohnungen, die direkt rund um den Gemeinschaftsraum gelegen sind. Jeder Bewohner, der seine Bewohnung verlässt, landet auf diese Weise direkt mitten im häuslichen Zusammenleben. Gleichzeitig kann das Pflegepersonal die Bewohner so einfach im Auge behalten.

Wir entwerfen einen Gemeinschaftsraum, unabhängig von seinem Standort, mit verschiedenen Bereichen, sodass der Raum strukturiert und klar erkennbar ist. Die Bewohner können sich für eine gemeinsame Aktivität entscheiden oder sich zurückziehen, so kann das demente Gehirn Reize besser verarbeiten.

 

Gut essen, mehr erleben

Im Gemeinschaftsraum hat die Küche einen zentralen, wichtigen Platz. Das Personal verbringt hier relativ viel Zeit – von der Vorbereitung des Frühstücks bis zum letzten Getränk vorm Schlafengehen. Das ist wichtig, denn Essen und Trinken ist für viele ältere Menschen mit Demenz eine der wenigen verbliebenen Freuden. Ein guter Grund, dass Essen zu einem Erlebnis zu machen! Untersuchungen zeigen, dass sogenanntes Fingerfood für ältere Menschen oft leichter einzunehmen ist. Ablenkungen am Tisch (Blick auf einen Kamin, ein Aquarium usw.) kann Langeweile vorbeugen und verhindern, dass Bewohner den Tisch verlassen. Hilfreich ist auch, nicht alle Bewohner an einem Tisch zu versammeln. Denn nicht alle finden dies angenehm. Verschiedener Essensmöglichkeiten anzubieten ist hier eine einfache Lösung.

 

Anwesend versus abwesend

Gesetze und Vorschriften erfordern, dass das Personal viel Zeit mit Verwaltungsaufgaben am Computer verbringt. Zudem gibt es Übergaben und Gespräche mit den Familien und Hausärzten. Hier und da geht man bereits zu kleinen, selbst verwalteten Teams über, die zusammenarbeiten und die Aufgaben untereinander verteilen. Auch das ist ein wirksames Mittel, um mehr Zeit und Aufmerksamkeit für die Bewohner zu haben.

Sehr viele Arbeiten können die Pflegekräfte auch im Gemeinschaftsraum verrichten, wodurch sie sichtbar und ansprechbar bleiben. Natürlich muss dafür ein gut ausgestatteter Arbeitsplatz vorhanden sein. In einer Gruppe schwer demenzkranker Menschen müssen wir uns diesbezüglich keine Gedanken über datenschutzrelevante Informationen auf Displays machen. Das Abwägen von Anwesenheit/Erreichbarkeit im Aufenthaltsraum versus Abwesenheit im Büro ist ein Thema, das unbedingt weiter diskutiert werden sollte.

 

Aktivität stimulieren

Viele Pflegeheimbewohner haben mit Langeweile zu kämpfen, was oft auch zu schlechtem Schlaf führt. Aktivitäten sind für die Bewohner daher von großer Wichtigkeit. Je mehr Beschäftigung unter Aufsicht des Personals stattfinden kann, desto besser. Dies wird jedoch nicht immer umsetzbar und bezahlbar sein. Deshalb müssen die Räume so gestaltet sein, dass die Bewohner im Rahmen ihrer Möglichkeit zu eigener Aktivität angeregt werden. Ein Gemeinschaftsraum mit verschiedenen Ecken für unterschiedliche Aktivitäten ist ein guter Anfang. Bei Schränken mit verschlossenen Türen ist für die Bewohner nicht erkennbar, dass sich darin Stifte, Papier und Puzzles befinden. Sind diese Dinge jedoch sichtbar, ist es vorstellbar, dass die Bewohner selbst aktiv werden. Musik und Gesang scheinen bis zum schwersten Stadium der Demenz in der Lage zu sein, Reaktionen hervorzurufen. Aber gibt es auch einen Ort, an dem die Bewohner singen oder Musik hören können? Auch Haustiere verleiten auf einfache und relativ kostengünstige Weise zu Aktivität.

 

Nach draußen

Schon seit Florence Nightingale wissen wir, wie wichtig Außenraum für den Menschen ist. Draußen werden alle unsere Sinne stimuliert, unsere Aufmerksamkeit und Energie geweckt. Einen Außenbereich zu realisieren, der für alle Pflegeheimbewohner mit Demenz gleichermaßen attraktiv ist, bleibt eine Herausforderung. Klar ist, dass der Übergang zwischen drinnen und draußen sanft gestaltet sein sollte, sodass sich die Bewohner auch ohne Begleitung nach draußen wagen. Eine Veranda kann hier beispielsweise eine Lösung sein. Sie ist dass das ganze Jahr über ein einladender Außenraum – selbst bei viel Wind oder Sonne.

Möchten Sie mehr erfahren?

Die Überlegungen dieses Artikels möchten anregen und inspirieren: Wie können wir (dementen) älteren Krankenhauspatienten oder Pflegeheimbewohnern mehr Eigenregie geben? Wie können Pflegeteams Zeit einsparen, die dann viel besser genutzt werden kann. Wiegerinck teilt gern neue Ideen und Lösungen mit Ihnen. Wenn Sie mehr wissen oder sich mit uns über neue (Entwurfs-)Möglichkeiten austauschen möchten, rufen Sie uns an!

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