Die Corona-Pandemie hat viele Herausforderungen für die Pflege mit sich gebracht. In Krankenhäusern wurde der Einsatz von Personal zu einem gravierenden Problem. Die Pandemie kam zu den großen technologischen, demografischen und gesellschaftlichen Veränderungen hinzu, die sich in rasantem Tempo vollziehen. Nun lässt es sich nicht länger ignorieren: Krankenhäuser müssen widerstandsfähiger und flexibler werden. Glücklicherweise gibt es für jedes Krankenhaus effektive räumliche Lösungen. Sie werden jedoch noch nicht oder nicht in ausreichendem Maß umgesetzt. Wir nehmen Sie mit auf eine Reise in die Pflegeumgebung von morgen.
Einerseits lässt sich beobachten, dass die Anzahl an stationären Aufnahmen durch den medizinischen Fortschritt und neue Technologien sinkt. War früher im Anschluss an eine Behandlung in vielen Fällen ein stationärer Aufenthalt nötig, genügt nun oft die tagesklinische oder ambulante Versorgung.
Andererseits gibt es signifikante demografische Entwicklungen: Es werden immer häufiger schwer- oder chronisch kranke ältere Patienten aufgenommen. Doch entsprechen die heutigen Pflegestationen tatsächlich den Bedürfnissen dieser Patienten?
Die gebaute Umgebung hat einen großen Einfluss darauf, wie wir denken, arbeiten, uns bewegen und miteinander interagieren. Räume beeinflussen auch Leistung, Pflegequalität und Effizienz – Parameter, die in einem Krankenhaus von entscheidender Bedeutung sind. Pflege und Architektur kommen im physischen Raum zusammen mit dem Ziel, die Qualität von Pflegeprozessen zu verbessern, sie effektiver und effizienter zu gestalten.
Wiegerinck schlägt eine Pflegeumgebung vor, die sich aus drei Bereichen zusammensetzt:
Durch die stärkere Unterscheidung dieser Bereiche und der entsprechenden Patientengruppen wird der Einsatz von Arbeitskräften, Technologien und verfügbarem Platz effizienter. Das ermöglicht mehr Aufmerksamkeit für die Patienten und eine bessere medizinische Versorgung.
Weltweit lässt sich beobachten, dass die tagesklinische Umgebung zunehmend mehr Platz und Aufmerksamkeit erhält. Denn inzwischen werden hier sehr viele, mitunter auch schwerkranke, Patienten behandelt. Sie bekommen einen eigenen Bereich im Krankenhaus, der ihnen Sicherheit, Komfort und genügend Platz für die Unterstützung durch ihre Angehörigen bietet.
Darüber hinaus werden diese Patienten immer öfter auch durch Pflegepersonal zu Hause betreut. Die dafür benötigten Überwachungsmöglichkeiten und das Monitoring erfordern einen sogenannten „Control Room” im Krankenhaus mit geeigneten Arbeitsplätzen für die Mitarbeiter.
Die tagesklinischen Behandlungen werden nicht mehr in großen, unpersönlichen Sälen stattfinden. Im Krankenhaus der Zukunft gibt es Räumlichkeiten, in denen jeder Patient seinen eigenen Bereich („Cubicle“) mit Privatsphäre hat, der auch Platz für die Familie bietet.
Der „Medium Care”-Pflegebereich ist optimal auf medizinische Versorgung und Regeneration ausgerichtet. Die Patienten hier müssen stationär im Krankenhaus behandelt werden und benötigen eine umfassende Betreuung. Alles dreht sich um ihre Sicherheit und Gesundheit. Im Entwurf spiegelt sich das wider in Einzelzimmern, Arbeitsräumen, die das Personal bestmöglich unterstützen, dezentralen Pflegeposten und Lagerräumen.
In einem Einzelzimmer sind die Patienten von der Aufnahme bis zur Entlassung isoliert. Das hat viele Vorteile. Das Risiko von Krankenhaus- und Wundinfektionen nimmt ab, und die Notwendigkeit von Verlegungen wird auf ein Minimum reduziert. Dadurch verringert sich die Wahrscheinlichkeit von Fehlern. Darüber hinaus schlafen die Patienten deutlich besser und erfahren insgesamt mehr Selbstbestimmtheit und Privatsphäre. In einem Einzelzimmer mit angemessener Größe ist darüber hinaus ausreichend Platz für interdisziplinäre Konsultationen und Behandlungen. Die medizinische Versorgung kommt zum Patienten, statt umgekehrt.
Ein größeres Zimmer ermöglicht auch „Rooming-In“. Das bedeutet, dass die Familie willkommen ist, sich länger beim Patienten aufzuhalten und ihn so im Genesungsprozess zu unterstützen. Es ist erwiesen, dass Patienten während des gesamten Aufenthaltes im Krankenhaus – von der Diagnose über die Behandlung bis zur Genesung – von der Anwesenheit ihrer Angehörigen profitieren. Eine sogenannte „Family Centered Care“ kann auch das Pflegepersonal entlasten, denn Angehörige können kleine Aufgaben übernehmen und bei der Kommunikation zwischen Patient und Pflegepersonal unterstützen. Darüber hinaus reduziert die Anwesenheit vertrauter Menschen Angst und Stress. Eine bequeme Sitzgelegenheit, ein kleiner Tisch, an dem man auch mal arbeiten kann, Anschlüsse für mobile Geräte, Möglichkeiten, die Jacke aufzuhängen – all das ist Teil des wohltuenden Rooming-In-Konzepts, dass sich momentan noch in den Kinderschuhen befindet.
Auch Technologie kann eine heilende Wirkung haben. Wenn Patienten auf einem Bildschirm die Zeit und das eigene Tagesprogramm einsehen können, reduziert das ihre Unsicherheit. Sie können außerdem selbst das elektrische Licht, die Menge an Tageslicht und Bildprojektionen regulieren. Das sorgt für ein wohltuendes Gefühl von Ablenkung und Kontrolle. Und die Möglichkeiten reichen noch weiter: Patienten können über die Bildschirme auch ihre eigenen Ergebnisse und Fortschritte einsehen, eine Videosprechstunde mit ihrem Arzt oder Therapeuten abhalten oder sich mit anderen Patienten austauschen, die dasselbe Krankheitsbild haben. Ärzte nutzen die Bildschirme rundum das Bett, um den Status der Patienten und ihre Werte einzusehen, dadurch verbessert sich die medizinische Versorgung am Krankenbett.
Ein Engpass in der Pflege ist die Verfügbarkeit von gutem Personal. Eine räumliche Umgebung, die den Fokus auf angenehmes, effektives und effizientes Arbeiten legt – kurz auf Freude und Zufriedenheit bei der Arbeit –, ist von großer Bedeutung, um motivierte Mitarbeiter anzuziehen und zu halten. Untersuchungen belegen eindeutig: Je mehr Zeit das Pflegepersonal für die direkte Patientenversorgung hat, desto größer ist die Arbeitszufriedenheit und umso besser sind auch die gesundheitlichen Effekte, die erzielt werden. Digitale Berichte schreiben, den Status einlesen, die Übergabe und die Suche von Bedarfsartikeln haben eine beträchtliche Auswirkung auf die Zeit, die für die Patientenversorgung zur Verfügung steht. Aus diesem Grund empfehlen Untersuchungen dezentrale Pflegeposten („Bedside Nursing“) und dezentrale Lager in den Pflegeabteilungen.
Dezentrale Pflegeposten bringen die Pflege dichter zum Patienten. Die Patientenzimmer sind so entworfen, dass das Personal die Patienten überwachen kann, ohne jedes Mal das Zimmer betreten zu müssen. Durch den regelmäßigen Blickkontakt mit dem Personal fühlen Patienten sich sicherer und klingeln weniger häufig nach Pflegekräften. Ein weiterer Vorteil der dezentralen Posten ist, dass die Pflegeintensität schneller und einfacher skaliert werden kann.
Durch dezentrale Lagerräume auf der Station wird das Pflegepersonal auch logistisch unterstützt, und die benötigten Dinge sind immer in Reichweite. Auf einer durchschnittlichen Pflegestation läuft das Personal pro Dienst 5 bis 10 Kilometer. Das entspricht bis zu zwei Stunden Laufen und bedeutet nicht allein weniger Zeit beim Patienten, sondern auch Ermüdung und Stress. Die Robotisierung wird in Zukunft immer mehr Arbeiten erleichtern, z. B. durch die automatische Verteilung von medizinischen Bedarfsartikeln, Abfall, Bettwäsche, sterilen Gütern und Essen. Die Patienten selbst werden davon nichts merken, da sich die Roboter über separate Gänge und Aufzüge bewegen. Über Track & Trace lässt sich jederzeit nachvollziehen, wo sich medizinische Bedarfsartikel befinden, was noch mehr kostbare Zeit einspart.
In der „Medium Care”-Pflegeumgebung gibt es verschiedene Hubs: Umgebungen, die sowohl die Zusammenarbeit fördern als auch für die benötigte Entspannung sorgen. Es gibt beispielsweise Übergaberäume, Plätze für konzentrierte Computerarbeit und Privatsphäre für Telefonate. Die medizinische Versorgung wird zusätzlich dadurch unterstützt, dass Ärzte sich in den zentral gelegenen Hubs während ihrer stressigen Dienste einfacher begegnen können. Das Pflegepersonal kann sich in angenehmen Räumlichkeiten mit Tageslicht, Aussicht und im Idealfall auch Außenraum erholen. Auf den Punkt gebracht, hat in der „Medium Care“-Pflegeumgebung das Verkürzen von Laufwegen, das Schaffen von Sichtachsen und guten Arbeitsplätzen Priorität.
Ältere Menschen und Patienten mit chronischen Krankheiten nehmen die medizinische Versorgung immer stärker in Anspruch. Häufig verbleiben sie länger im Krankenhaus, da sie nicht ohne Weiteres zurück nach Hause können. Diese Patienten haben besondere Bedürfnisse in Hinblick auf ihre Umgebung. Für diese große Gruppe ist es wichtig, dass die Pflegeumgebung Ängste reduziert und Reaktivierung stimuliert. Letzteres ist von besonderer Bedeutung, da ein Mangel an Aktivitäten in vielen Fällen zu gesundheitlichen Schäden führt. Ältere Patienten verlieren in kurzer Zeit – schon in wenigen Tagen – drei Mal so viel Muskelmasse wie jüngere Patienten. Ihre Genesung dauert deutlich länger (oft Monate) und verläuft häufig nicht vollständig. Die Folgen sind weniger Eigenständigkeit der Patienten und ein Anstieg der Pflegekosten. Jahr für Jahr werden viele ältere Menschen unnötigerweise erneut im Krankenhaus aufgenommen, obgleich das vermieden werden könnte.
Die reaktivierende Pflegeumgebung hat eher den Charakter eines Pflegehotels und fördert maximale Bewegung. Den ganzen Tag im Bett zu liegen, gehört der Vergangenheit an. Das Essen wird nicht auf dem Zimmer serviert, sondern selbstständig oder gemeinsam unter Begleitung von Diätassistenten, die den Patienten das gewünschte Ernährungsverhalten nahebringen, in einer zentralen Küche in der Abteilung zubereitet. Es wird gemeinsam an großen Tischen gegessen, an denen im Tagesverlauf auch gelesen werden kann oder Spiele gespielt werden. Patienten begegnen einander auch in den gemütlichen Wohnzimmern, in denen sie Fernsehen schauen oder Besuch empfangen können. Es gibt Außenbereiche, die leicht zugänglich sind.
In der reaktivierenden Pflegeumgebung sind die Gemeinschaftsräume großzügig gestaltet, aber die Schlafzimmer sehr kompakt. Anders gesagt: Das Bett bekommt wieder eine reine Schlaffunktion, und außerhalb des eigenen Zimmers gibt es viel Raum für Aktivitäten und Genesung. Die Schafzimmer verfügen über viel Licht, was die biologische Uhr der Patienten unterstützt. „Design for all” lautet die Devise beim Entwurf. Das umfasst eine Gestaltung, die Stürze reduziert und beispielsweise Menschen mit Sehschwächen unterstützt. Auch Heimautomation kommt zum Einsatz.
Die Pflegestation der Zukunft bietet viele Möglichkeiten, die Erkenntnisse des Evidenced-Based-Designs (EBD) optimal zu nutzen. Eine räumliche Gestaltung, die durch wissenschaftliche Forschung untermauert ist, kann eine nachweislich heilende Umgebung schaffen. Im Forschungsbereich Healing Environment wird eine direkte Verbindung zwischen einem räumlichen Element (etwas, das wir gemeinsam entwerfen können) und der positiven Wirkung auf die Patientengesundheit hergestellt, unabhängig vom Kontext. Diese räumlichen Elemente haben einen positiven Effekt auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Patienten.
Durch eine Differenzierung der standardisierten Pflegeumgebung in Bereiche für Tagesbehandlung, Medium Care und Reaktivierung wird sowohl die Qualität der Pflege als auch die Arbeitszufriedenheit signifikant zunehmen. Medizinische Hilfsmittel und Personal können in einer heilenden Umgebung, in der das Wohlbefinden des Patienten an erster Stelle steht, effizienter und effektiver eingesetzt werden. Die vorgeschlagene Differenzierung kann in jedem Krankenhaus umgesetzt werden. Wie das genau aussieht, muss für jedes Krankenhaus passgenau untersucht werden. Sicher ist in jedem Fall, dass auch Ihr Krankenhaus den Schritt zu einer Pflegeumgebung der Zukunft wagen kann.